Psychische Ersthelfer:innen im Unternehmen

Psychische Ersthelfer:innen im Unternehmen
– Stabilisierende Stützen im Berufsalltag und in Krisensituationen
In einer zunehmend komplexen und schnelllebigen Arbeitswelt rückt das Thema psychische Gesundheit immer stärker in den Fokus. Stress, Überforderung und psychische Belastungen sind keine Ausnahmen mehr, sondern für viele Menschen Realität im Berufsalltag. Unternehmen stehen daher in der Verantwortung, nicht nur physische, sondern auch psychische Sicherheit zu gewährleisten. Eine zentrale Rolle übernehmen dabei psychische Ersthelfer:innen – speziell ausgebildete Mitarbeitende, die als erste Anlaufstelle bei seelischen Belastungen dienen.
Wer sind psychische Ersthelfer:innen?
Psychische Ersthelfer:innen sind keine Psychotherapeut:innen oder Ärzt:innen, sondern geschulte Kolleg:innen, die in belastenden Situationen erste Unterstützung leisten können. Sie sind dazu ausgebildet, Symptome psychischer Belastungen zu erkennen, empathische Gespräche zu führen und Betroffene zu stabilisieren – bis professionelle Hilfe zur Verfügung steht. Ihre Funktion lässt sich mit der von Ersthelfer:innen bei körperlichen Notfällen vergleichen – nur eben auf seelischer Ebene.
Aufgaben und Rolle im Berufsalltag
Psychische Ersthelfer:innen haben eine präventive, unterstützende und vermittelnde Rolle im Unternehmen. Ihre Hauptaufgaben sind:
- Frühzeitiges Erkennen psychischer Belastungen: Durch geschulte Wahrnehmung erkennen sie Verhaltensveränderungen bei Kolleg:innen, die auf Stress, Überforderung oder andere psychische Probleme hindeuten könnten – etwa Rückzug, Gereiztheit, Antriebslosigkeit oder auffällige Leistungsschwankungen.
- Niedrigschwelliges Gesprächsangebot: Sie schaffen eine wertschätzende, vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre, hören aktiv zu und zeigen Verständnis.
Ein Praxisbeispiel: Herr Schmidt fühlt sich aufgrund von Arbeitsdruck und einem hohen Workload zunehmend belastet. Er bemerkt, dass er Schwierigkeiten hat, nach Feierabend abzuschalten. Obwohl er weiß, dass er Unterstützung benötigt, fällt ihm der erste Schritt schwer. Als er erfährt, dass Frau Müller als psychische Ersthelferin im Unternehmen tätig ist, vertraut er sich ihr an. Frau Müller nimmt sich Zeit für ein Gespräch in geschützter Atmosphäre, hört zu, stellt gezielte Fragen und begleitet Herrn Schmidt bei der Reflexion über nächste Schritte. Sie informiert ihn über weiterführende Hilfsangebote und bleibt bei Bedarf ansprechbar. - Emotionale Unterstützung: In akuten Belastungssituationen – etwa nach einem Schockereignis, bei Mobbing oder familiären Krisen – bieten sie Trost und Orientierung, ohne selbst therapeutisch zu agieren.
- Vermittlung an professionelle Hilfen: Psychische Ersthelfer:innen kennen das interne und externe Unterstützungsnetzwerk (Betriebsärztlicher Dienst, Psycholog:innen, externe Beratungsstellen etc.) und helfen dabei, die richtigen Anlaufstellen zu finden.
- Begleitung in Krisen: Im Fall eines traumatischen Ereignisses – etwa eines Arbeitsunfalls, Suizidversuchs oder Todesfalls – übernehmen sie organisatorische und betreuende Aufgaben, helfen bei der emotionalen Erstversorgung bis professionelle Hilfe eintrifft und entlasten Führungskräfte.
Ein Praxisbeispiel: Nach einem Unfall im Unternehmen befindet sich eine Mitarbeiterin, Frau Wagner, in einem Schockzustand. Die psychische Ersthelferin Frau Müller, die hinsichtlich ihrer psychischen Belastbarkeit geprüft wurde und eine umfassende Schulung zur psychischen Ersthelferin durchlaufen hat, erkennt die kritische Situation sofort. Sie spricht Frau Wagner behutsam an, bringt sie in eine reizarme Umgebung und bietet ihr Halt durch ruhige, empathische Kommunikation. Frau Wagner kann sich durch die geschaffene Sicherheit beruhigen und über ihre Gedanken sprechen. Frau Müller unterstützt sie dabei, nächste Schritte zu überlegen – etwa das Hinzuziehen von Angehörigen oder das Angebot weiterer Betreuung.
Psychische Stabilität als Voraussetzung
So wichtig und wirksam diese Rolle ist – sie kann nur von Personen ausgeübt werden, die selbst psychisch belastbar und stabil sind. Eine fundierte Eignungsfeststellung im Vorfeld ist daher von großem Vorteil. Nicht jede:r eignet sich für diese verantwortungsvolle Aufgabe. Psychische Ersthelfer:innen müssen mit belastenden Geschichten umgehen können, eigene Grenzen erkennen und sich abgrenzen können und dabei gleichzeitig empathisch und rücksichtsvoll agieren.
Idealerweise erfolgt die Eignungsprüfung in Form eines psychologischen Assessments wie beispielsweise ein Fragebogen-Screening. Ebenso wichtig ist die kontinuierliche Reflexion und Supervision während der Tätigkeit – um Überlastung vorzubeugen.
Der Mehrwert für Unternehmen
Der Einsatz psychischer Ersthelfer:innen bringt für Unternehmen zahlreiche Vorteile mit sich. Zum einen wird ein niedrigschwelliges Hilfeangebot geschaffen, das es Beschäftigten erleichtert, in belastenden Situationen frühzeitig Unterstützung zu erhalten – oft sogar, bevor professionelle Hilfe notwendig wird. Dadurch lassen sich psychische Belastungen früh erkennen und abfedern, was krankheitsbedingte Ausfälle reduzieren kann. Gleichzeitig wird das Bewusstsein für psychische Gesundheit im Unternehmen geschärft und enttabuisiert – ein zentraler Baustein moderner Unternehmenskultur. Gerade in akuten Krisensituationen leisten psychische Ersthelfer:innen wertvolle Betreuungsarbeit, helfen bei der emotionalen Stabilisierung und entlasten damit Führungskräfte und Teams. Nicht zuletzt trägt die Präsenz solcher Ansprechpersonen dazu bei, die psychische Widerstandskraft in der gesamten Belegschaft zu stärken. Durch diese präventive und unterstützende Struktur entstehen langfristig stabile, gesunde Arbeitsbedingungen, in denen Mitarbeitende ihr Potenzial entfalten können – auch in schwierigen Zeiten.
Ein wichtiger Baustein moderner Arbeitskultur
Psychische Ersthelfer:innen sind weit mehr als eine „nette Geste“ im Unternehmen – sie sind ein strategisch wichtiger Bestandteil eines ganzheitlichen Gesundheitsmanagements. Durch ihr Engagement schaffen sie eine Brücke zwischen belasteten Mitarbeitenden und professionellen Hilfsangeboten, leisten emotionale Stabilisierungsarbeit und tragen zur Entlastung des gesamten Systems bei.
Für Unternehmen bedeutet das: Sie investieren nicht nur in die Gesundheit ihrer Beschäftigten, sondern auch in ihre eigene Zukunftsfähigkeit. Denn nur wer psychische Gesundheit ernst nimmt, schafft ein Arbeitsumfeld, in dem Menschen langfristig ihr Potenzial entfalten können – auch in herausfordernden Zeiten.